Baumkirchen Mitte – Ein neues Quartier entsteht

Leistung
1–9

Bauherr
CA Immo Deutschland GmbH

Zeitraum
2013 – 2020

Kategorie
Naturschutzfachliche Planung, Freiraumplanung

Baumkirchen Mitte – Ein neues Quartier entsteht

Auf dem 15 Hektar großen Gelände des ehemaligen Bahnbetriebswerkes München 4 in Berg am Laim entsteht seit 2013 das Stadtquartier „Baumkirchen Mitte“. Fast 70 Jahre lang wurden hier Lokomotiven und Güterwaggons rangiert und repariert. Nun bietet das Areal Raum für etwa 1.300 Einwohnerinnen und Einwohner, Arbeitsplätze, Einzelhandel und öffentliche Grünflächen. Grundlage für das Bebauungsplanverfahren war ein 2010 von der Landeshauptstadt und CA Immo durchgeführter städtebaulicher und landschaftsplanerischer Ideenwettbewerb, aus dem der Entwurf von Peter Ebner & Friends und von Mahl Gebhard Konzepte siegreich hervor ging. Der Entwurf überzeuge die Jury im besonderen Maße durch eine für das Gebiet neuartige Struktur. Es entstünde eine einheitliche Bebauung, die von ausgedehnten Grünflächen umschlossen wird. Dieser Entwurf, der sich durch mutig, geschwungene Baukörper auszeichnet, die fließende Räume erzeugen war Grundlage für das sich anschließende Bauleitplanverfahren. Die Freiflächen mit ihren integrierten Spielflächen sollen die Anwohner sowie Besucher zum Verweilen und Erholen einladen.

Minimaler Eingriff durch Monitoring und Erlebnispfad

„Pflanzenwuchs auf aktiven Bahnflächen unterliegt permanenter Störungen. Fallen Bahnflächen aus der Nutzung, so regiert die Vegetation relativ rasch darauf. Deshalb sind die stillgelegten Gleisanlagen heute von mosaikartiger Vegetation geprägt und erhalten ihren eigenen Charme durch die offenen Ruderalflächen, die sich mit aufkommenden Birken und rahmenbildenden, älteren Gehölzen abwechseln.“

– Andrea Gebhard

Freiflächengestaltung

Ein besonderer Fokus bei der Entwicklung des Quartiers lag auf einer doppelten Innenentwicklung: So ist für das Quartier Baumkirchen Mitte neben den unverwechselbaren, organisch anmutenden Gebäudekörpern, der sehr hohe Grünanteil prägend. Etwa 50% des Gesamtareals sind bebaut, die restliche Fläche bleibt im Hinblick auf urbanes Grün als öffentliche Grünfläche und ökologische Vorrangfläche erhalten und wird als Landschaftspark gestaltet. Durch den Erhalt der ökologischen Vorrangfläche bleibt, die für München so relevante Kaltluftschneise erhalten und dennoch kann die geforderte städtische Dichte eingehalten werden. Einen weiteren Mehrwert stellen die neu entstandenen Wohnhöfe bzw. Quartiersmitten wie der Mattoneplatz dar. Sie sprechen grundsätzlich die Sprache des Gesamtareals und verstärken die geschwungenen Strukturen.

Durch sie wurde eine qualitativ wie quantitativ gute Versorgung der Wohngebiete mit öffentlichen Grün- und Freiflächen für die Erholung verwirklicht – insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Verringerung des Nutzungsdruckes auf die ökologische Vorrangfläche.

Bei der Lage der öffentlichen Grünflächen wurde auf gute räumliche Zuordnung und weitere mögliche Aneignungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten besonders auch in Richtung des Rosenheimer Bahndamms geachtet. An der übergeordneten Grünstruktur orientierten sich daraufhin die Baukörper.

Im Entwurf soll ein Nebeneinander unterschiedlicher Nutzungsräume entstehen, die sich verschränken und überlagern. Die Privatheit der Wohnhöfe soll davon unberührt bleiben.

Leitbild Bäume

Wiederkehrendes Gestaltungselement ist die waggonartige Reihung von drei bis fünf zu pflanzenden Bäumen, die den genius loci der ehemaligen Nutzung in der neu gebauten Fläche anschaulich machen sollen. Um den jeweiligen Räumen eine eindeutig wahrnehmbare Gestalt zu geben, bestehen die Baumgruppen aus jeweils einer Gattung und Art.

Die öffentlichen und privaten Freiflächen erhalten durch die unterschiedliche Pflanzenverwendung (Leitbaumarten, Wuchsklassen) eine jeweils eigenständige Identität.

Dabei wurden je 200 m² nicht überbaute Grundstücksfläche ein Baum gepflanzt. Auf die entsprechende Mindestüberdeckung der Substratstärke über Tiefgarage ist zu achten. Die Pflanzauswahl in den Höfen enthält mindestens 50% Bäume 2. Ordnung.

Lageplan

Der Bestand ein „hot spot“ der Biodiversität

Pflanzenwuchs auf aktiven Bahnflächen unterliegt permanenter Störungen. Fallen Bahnflächen aus der Nutzung, so regiert die Vegetation relativ rasch darauf. Deshalb sind die stillgelegten Gleisanlagen heute von mosaikartiger Vegetation geprägt und erhalten ihren eigenen Charme durch die offenen Ruderalflächen, die sich mit aufkommenden Birken und rahmenbildenden, älteren Gehölzen abwechseln.

Kurzum: Das Bahnbetriebswerk entwickelte sich durch die Stilllegung zu einer naturnahen Bahnbrache. Humusarme Substrate (z.B. Gleisschotter) speichern kaum Wasser und begünstigen dadurch schüttere Magerrasen. So ist hier ein „hot spot“ der Biodiversität entstanden, das dem Areal in Kombination mit der belassenen Gleisanlage eine besondere Identität verleiht. Mehrere geschützte Tier- und Pflanzenarten (48 Rote-Liste-Arten) haben aufgrund der für sie idealen, trockenen und heißen Standortbedingungen und der Mischung aus lückiger, niedriger Vegetation und besonnten Säumen und Gebüschen einen Vorkommensschwerpunkt. Die angrenzenden noch aktiven Bahnanlagen sind darüber hinaus als Ausbreitungsachse und somit für den Biotopverbund bedeutend. Von den in mehreren Kartierungsdurchgängen in den Jahren 2008 und 2009 nachgewiesenen Arten sind die streng geschützte Zauneidechse sowie die besonders geschützte Blauflügelige Ödlandschrecke und die Blauflügelige Sandschrecke von hoher naturschutzfachlicher Bedeutung und daher wertbestimmend. Aber auch kleine Wirbeltiere wie die Zauneidechse können auf der Vorrangfläche beobachtet werden – sie sind streng geschützt (§7 (2) 14, ‎BNatSchG).

Im Bereich der Sukzessionsflächen wird das Totholz belassen, um Insekten und kleinen Wirbeltieren Unterschlupf zu bieten.

(Pflege)Konzept

Die Habitate der Bahnanlagen sind charakteristische Bestandteile der Natur in der Stadt und spielen eine wichtige Rolle für den Artenschutz. Um diesen naturnahen Trockenstandort mit seiner hohen Artenvielfalt zu erhalten, wurde ein Pflege- und Entwicklungskonzept aufgestellt. Die Sukzession führt ohne weitere Pflege zu waldartigen Beständen, weshalb die immer wiederkehrende Zurücknahme des Gehölzaufwuchses und die Freihaltung geeigneter, besonnter Standorte wichtige Maßnahmen darstellen. Im Bereich der Sukzessionsflächen wird das Totholz belassen, um Insekten und kleinen Wirbeltieren Unterschlupf zu bieten. Die Rohbodenrotation bietet nicht nur Reptilien wie der Zauneidechse einen idealen Standort, um ihre Eier in die sandigen Böden zu legen.

Daraus leiten sich vorrangige naturschutzfachliche Entwicklungsziele für das Untersuchungsgebiet ab:

  • Erhalt und Pflege von Flächen der bevorzugten Lebensraumschwerpunkte der Zauneidechse im Untersuchungsgebiet
  • Größtmöglicher Erhalt der Flächen von hoher und mittlerer Bedeutung für die Wert bestimmenden Tierarten
  • Sicherung des durchgehenden räumlichen Verbunds der Flächen zu den angrenzenden Lebensräumen
  • Erhalt und Optimierung der Standorte als Teil einer linearen Vernetzungsachse
  • Sicherung und Förderung der Populationen der geschützten Arten durch Pflegemaßnahmen im Bereich der Ökologischen Vorrangfläche

Die artenschutzrechtlich nachzuweisenden Lebensraumqualitäten sollen durch ein dynamisches, dreistufiges Pflegekonzept erreicht und langfristig gesichert werden. Das Konzept versucht zum einen den fachlichen Ansprüchen hinsichtlich räumlicher wie zeitlicher Differenziertheit als auch denen einer pragmatischen Umsetzbarkeit (Topografie) gerecht zu werden.

Minimaler Eingriff – Monitoring und Erlebnispfad

Die geplante Umsetzung des gesamten Bauvorhabens wurde in 10 Bauabschnitte unterteilt, deren Abfolge sich von Osten (Baumkirchner Straße) nach Westen erstreckt, und somit eine sinnvolle logistische bauliche und nutzungsbezogene Abwicklung in mehreren Schritten mit geringerer Baustellenbelastung bedeutet. Eine besondere Herausforderung stellte die Zugänglichkeit der ökologischen Vorrangfläche dar: Mittels aufwändigen Monitorings und eigens entwickelter Stege konnten naturschutzfachliche Belange eingehalten werden und dennoch von Anwohnern als naturnaher Erholungsraum barrierefrei erschlossen werden. Der enorme Höhenunterschied zwischen Wohnbebauung und ökologischer Vorrangfläche konnte mit Rampen ausgeglichen werden. Der Erlebnispfad im tieferliegende Gleisbereich ist auf der Westseite über Treppen und an der Ostseite durch eine barrierefreie Rampe erreichbar. Der aufgeständerte Weg führt vorbei an der historischen Eisenbahn-Drehscheibe, mit der früher Waggons und Lokomotiven bewegt wurden. Hier ist eine Tribüne entstanden, sodass die Lokdrehscheibe als Freilufttheater dienen kann.

„Der neu entstandene Park ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie durch den respektvollen Umgang mit dem Bestand ein abwechslungsreiches, sich wandelndes Stück Stadtnatur entstehen konnte, das dem zu beklagenden Artenrückgang eine zeitgemäße Antwort entgegenstellt.“

– Juryurteil Deutscher Landschaftsarchitektur-Preis 2021: Auszeichnung in der Kategorie „Landschafts- und Umweltplanung/ Landschaftserleben“

Foto Copyrights
Marcus Hassler, Sonja Weber